Es war sicher ein schöner sonniger und warmer Tag, jener 30. Mai vor 225 Jahren.
Überliefert ist, dass es an diesem Tag windig war.
Die überwiegend landwirtschaftlich geprägte Bevölkerung Harsefelds war auf den Feldern oder im Moor, um Torf zu stechen. Viele hatten sich eingerichtet, über den Tag auf dem Feld zu bleiben. Daher bekamen sie auch nicht mit, als sich um die Mittagsstunde in der heutigen Marktstraße eine Katastrophe anbahnte. Erst als die Sturmglocke läutete, bemerkten die Leute das Feuer und eilten zurück in den Ort.
Man muss wissen, dass es die Marktstraße in der heutigen Form noch nicht gab. Auch von einer Straße konnte man nicht sprechen. Der Weg war eng bebaut mit weich gedeckten Häusern. In Höhe „Don Camillo“ war es so schmal, dass sich dort keine zwei Gespanne begegnen konnten. Der Weg endete in Höhe der Kirchenstraße. Dort bogen die Gespanne ab und fuhren über den Rellerbach und den Parkplatz „Friseur Wichels“ in die Buxtehuder Straße. Ebenso ist überliefert, dass Gespanne aus Richtung Stade über die Teichstraße in den oberen Teil der Schulstraße gelangten, weil der untere Teil der Schulstraße noch nicht befestigt und zu steil für Fuhrwerke war. Die Herrenstraße war keine Durchgangsstraße und endete am Gierenberg.
An dieser Stelle muss das Gebäude des Hausvogt gestanden haben. Bild 1
In der angesprochenen Enge der Marktstraße begann das Feuer in dem Gebäude des „Hausvogt Greten.“ Als Hausvogt bezeichnete man einen Beamten, der für die Einhaltung der Ordnung in der Gemeinde und dem dazugehörigen Gebiet verantwortlich war. Heute würde man ihn als Polizeibeamten bezeichnen. Das Haus stand etwa da, wo sich später das Postgebäude befand. Bei dem Haus, welches „Greten“ zur Miete bewohnte, soll es sich um ein sehr altes und baufälliges Gebäude gehandelt haben.
In der Chronik „Der Flecken Harsefeld“- sein Weg durch die Geschichte schreibt Adolf-Peter-Krönke 1967:
Man fand heraus, dass in dem Haus gewaschen wurde. Früher sei dabei mehr „Torffeuerung, die nicht so viel Vorsicht gebraucht“, benutzt. Jetzt bediene man sich der Holzfeuerung, womit „die Wasch Frauens gar nicht umzugehen wissen“. Sie hätten wohl „um die Streicheisen (Bügeleisen) zu glühen, trockene Holz Spöhne häufig mit aufgeworfen“. Auch sei „über die Reinigung der Schornsteine hier im Ort Klage geführt“. „So mag alles dieses vereiniget wohl den unglücklichen Brand umso mehr bewirket haben, weil um die Zeit ein starker Wind wehte“. Dem Hausvogt sei „keine directe Schuld beizumessen“.
Diesen Text zitiert Krönke aus Amtsprotokollen aus der Zeit des Brandes.
Ein weiterer Chronist, Harsefelds Pastor Seebo, beschäftigt sich in seiner Chronik „Geschichte des Flecken Harsefeld“ von 1927 mit dem Brand so schreibt er:
„Man erzählt, das Feuer sei besonders dadurch schlimmer geworden, daß das damalige Wohnhaus des Branntweinbrenners Desebrock, (unterhalb des Gebäudes vom Hausvogt) welcher viel Branntwein in Fässern vorrätig gehabt, mit ergriffen wurde. Der brennende Spiritus soll das Feuer weiter gebracht haben. Dann ist das Feuer plötzlich über die Wiesen hinweggeflogen, die Harsefeld gleichsam in zwei Hälften teilen.“
Machen wir uns auf die Suche, die Ausdehnung des Feuers zu bestimmen. Zum besseren Verständnis werden die heutigen Eigentümer oder Mieter von heute genannt.
Kirche mit Turm und Schlagglocke Bild 2
Beginnend mit dem Gebäude „Don Camillo“, das dahinterstehende Pastorenhaus, Turm mit der Schlagglocke auf dem Kirchendach. Hier ist überliefert, dass ein beherzter Mann, der Besitzer der Walkmühle Hagedorn aus Ohrensen, das Feuer heruntergerissen habe und so die Kirche rettete. Alle weiteren Häuser der Marktstraße bis Hellwege. Die komplette Mittelstraße bis zu dem Haus welches zwischen Rewe Markt und Kindergarten stand. Das Gelände zwischen Hellwege und Tobaben war noch nicht bebaut. Das Feuer sprang über die Wiesen und den Rellerbach und vernichtete alle Häuser der Bergstraße. Hinzu kam noch das Gebäude Kögl am Grashofweg.
In der Schulstraße dehnte sich das Feuer aus bis zur Teichstraße und auf der anderen Seite bis Fahrrad Tobaben.
Insgesamt zerstörte das Feuer 81 Gebäude. 64 Familien wurden obdachlos. Eine kaum vorstellbare Ausdehnung.
Zwei Häuser in der Nähe der Kirche brannten nicht ab: Kirchen Kackmann heute Wichern und die ehemalige Schule im Garten heute von Hein. Sie waren bereits mit Dachpfannen gedeckt.
Aufgelegt auf eine aktuelle Karte (grau) die abgebrannten Gebäude (rot) Bild 3
Bei einer solchen Feuersbrunst war jeder Löschversuch zum Scheitern verurteilt. Eine Feuerwehr gab es noch nicht. Ein Spritzenhaus, innerhalb des Vorwerksgebäudes am Amtshof, wurde erst 1839 erwähnt.
Das Vorwerksgebäude am Eingang zum Amtshof aus Richtung Herrenstraße Bild 5
1799 hatte jeder Haushalt einen ledernen Eimer vorzuhalten und zum Löschen mitzubringen. Jede Hofstelle noch zusätzlich eine Leiter und einen Einreißhaken.
Aber wer war in dieser Situation bereit zu löschen? Alle waren sicher mit sich selbst beschäftigt, um zu sehen, was das Feuer vom eigenen Hab und Gut noch übriggelassen hatte. Es muss ein enormes Chaos in Harsefeld geherrscht haben. Nicht nur, dass viele Familien alles verloren, und nur noch das hatten, was sie gerade trugen, sondern es wurde auch noch gestohlen und geplündert, um sich zu bereichern.
Zwei Tage nach dem Ausbruch des Feuers, am 1. Juni 1799, gab es, wie damals üblich, einen „Aufruf des Amtes von der Kanzel abgelesen“. In der Akte aus den Unterlagen des Staatsarchivs Stade heißt es in der wörtlichen Übersetzung:
… hat hiesiges Amt, wenn es nur möglich wäre, noch mit größeren Bedauern wahrnehmen, und durch allgemeine Klage leider vernehmen müßen, daß in hiesiger Gegend sich so böse, alle Pflichten der Menschlichkeit aus den Augen setzende Menschen befinden, welche die bejammernswürdige Noth der Einwohner so sehr Mißbrauchen mögen, daß sie die wenigen, aus den heftigen Feuer kaum zu retten gewesenen Sachen durch Verheimlichung und Entwendung an sich zu bringen und deren verarmten Eigentümern zu entreißen bößlich gewesen sind…
In den weiteren drei Seiten wird ausführlich darauf hingewiesen, dass diese Taten mit hohen Strafen belegt werden. Auch wolle man bei der Königlich Churfürstlichen Regierung beantragen, eine Prämie auszusetzen, um solche Frevler namhaft zu machen.
Am 10. Juni 1799 ein weiterer Aufruf an die nicht abgebrannten Harsefelder:
… so werden alle und jede Orts-Einwohner Amtswegen hierdurch wiederholend öffentlich aufgefordert, falls sich in ihren Wohnungen noch fremde Sachen finden, deren Eigentümer ihnen unbekannt sind, solche am nächsten Montage den 17. Juny Morgens 9 Uhr… auf der Amtsstube abzuliefern…
In weiteren Akten des Staatsarchivs geht es um die Aufzeichnungen der Brandkasse Hannover. Hier ist aufgelistet, was die Versicherten ausbezahlt bekamen. Aber es waren nicht alle versichert. In den Amtsakten sind alle Spenden aufgelistet, die eingenommen wurden. Noch am Brandtag gingen die ersten Spenden ein. Akribisch aufgeschrieben und verwaltet von Hausvogt Carl Greten, bei dem das Feuer ausgebrochen war.
Viele weitere Spenden in Geld und Lebensmittel folgten. Aber Normalität kehrte über Jahre nicht wieder in Harsefeld ein.
Im Verlauf weiterer Jahre wurden viele Häuser neu errichtet. Mancher Bauherr schmückte seine Dielentür mit einem Balken, der auf das Ereignis hinweist. Drei dieser Balken sind noch erhalten. Ein weiterer über der Dielentür des Hauses Friedrich Tobaben, Bergstraße 2, ist nach einem erneuten Brand 1962 verschollen.
Drei Inschrift Balken sind noch erhalten. Bild 6
Der damalige Pastor Brandt hielt ca. 14 Tage nach dem Feuer eine Predigt, die 1800 in Stade gedruckt wurde. Durch den Verkaufserlös sollten die Abgebrannten unterstützt werden.
Im Feuerwehrarchiv gibt es eine Kopie dieses Druckes. Das Original soll sich im Kirchenarchiv befinden. Der Klerus in der damaligen Zeit war nach solchen Ereignissen sehr schnell bereit, mit erhobenem Zeigefinger auf ein gottesfürchtiges Leben hinzuweisen. Doch Pastor Brand musste seine Worte vorsichtig wählen, da sein Pastorenhaus bis auf die Grundmauern niederbrannte. Er war zum Zeitpunkt des Brandes auf Reisen, und wurde durch einen Boten zurückgeholt.
Die Gemeinde wünschte sich, diesen Brandtag mit einer besonderen kirchlichen Feier zu begehen. Daran wurde auch weit über 100 Jahre festgehalten. Danach verblasste das Ereignis mehr und mehr.
Nun, nach 225 Jahren, möchte die Feuerwehr Harsefeld mit einer besonderen Übung alles wieder in Erinnerung rufen. Zu dieser „Schauübung“, die am 30. Mai 2024 um 18.30 Uhr im Bereich des Kino-Hotel-Meyer und der gegenüberliegenden Straßenseite stattfinden soll, möchten wir interessierte Bürger einladen, als Zuschauer dabei zu sein. Ebenfalls wird es einen Stand geben, der über die enormen Ausmaße des Feuers informiert.
Als etwas Besonderes ist es sicher auch zu bezeichnen, dass gerade ein noch sehr junger Feuerwehrmann auf diese Idee gekommen ist und sie nun umsetzt.